Das Neue Evangelium / Milo Rau / 2020
Was würde Jesus im 21. Jahrhundert predigen? Wer wären seine Jünger? Regisseur Milo Rau (DAS KONGO TRIBUNAL) kehrt in der süditalienischen Stadt Matera zu den Ursprüngen des Evangeliums zurück und inszeniert es als Passionsspiel einer Gesellschaft, die geprägt ist von Unrecht und Ungleichheit. Gemeinsam mit dem Politaktivisten Yvan Sagnet, der Jesus verkörpert, erschafft Rau eine zutiefst biblische Geschichte. Nach Jesus‘ Vorbild kehrt Yvan als „Menschenfischer“ in das größte der Flüchtlingslager bei Matera zurück. Unter den dort Gestrandeten, findet er seine „Jünger“. Verzweifelte, die über das Mittelmeer nach Europa gekommen sind, um auf den Tomatenfeldern Süditaliens versklavt zu werden und dort unter unmenschlichen Bedingungen in regelrechten Ghettos hausen – allein in Italien sind das mehr als 500.000 Menschen. Gemeinsam mit ansässigen Kleinbäuerinnen und -bauern begründen sie den „Revolte der Würde“ („The Revolt of Dignity“), eine politische Kampagne, die für die Rechte von Migrantinnen und Migranten kämpft.
DAS NEUE EVANGELIUM ist ein filmisches Meisterwerk zwischen Dokumentarfilm, Spielfilm und politischer Aktionskunst. Popstar der Kultur- und Theaterszene Milo Rau inszeniert mit Flüchtlingsaktivist Yvan Sagnet eine moderne Geschichte eines Schwarzen Jesus mit radikal aktuellen Bezügen. Hauptdarsteller Yvan Sagnet stammt aus Kamerun und arbeitete selbst auf einer Tomatenplantage in Apulien, bis er 2011 den bisher größten Streik in der italienischen Landwirtschaft organisierte. Für das Filmprojekt zieht er 2019 durch die Lager rund um Matera, wo er seine „Jünger“ findet. Es gesellen sich zahlreiche Laiendarstellerinnen und -darsteller aus Matera selbst dazu sowie Kleinbäuerinnen und -bauern der Region, die von großen Agrarunternehmen in den Bankrott getrieben werden und Seite an Seite mit den Flüchtlingen auf die Missstände aufmerksam machen.
Gleichzeitig besetzt Milo Rau weitere Rollen mit Schauspielern und Schauspielerinnen aus den Filmen von Pier Paolo Pasolini und Mel Gibson: So ist Enrique Irazoqui, der jüngst verstorbene Jesus-Darsteller Pasolinis, in seiner letzten Filmrolle zu sehen. Als Johannes der Täufer übergibt er mit der Taufe gleichsam den Staffelstab der Jesus-Rolle an Yvan Sagnet. Maia Morgenstern spielt – wie auch bei Mel Gibson – die Mutter des Messias. Und der von der Kritik gefeierte und in Cannes 2018 als bester Schauspieler ausgezeichnete Marcello Fonte spielt Pontius Pilatus. DOP Thomas Eirich-Schneider sind die ikonographisch starken Blickwinkel und eindrucksvollen Bilder zu verdanken, die von der gefühlvollen Musik und Off-Stimme von Vinicio Capossela umspielt werden.